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Donnerstag, 12. April 2012

Schneekönigin

 Zitate


Da erzitterte der Spiegel so fürchterlich in seinem Grinsen, daß er ihren Händen entfiel und zur Erde stürzte, wo er in hundert Millionen, Billionen und noch mehr Stücke zersprang. Und nun grade verursachte er weit größeres Unglück als zuvor; denn einige Stücke waren kaum so groß wie ein Sandkorn, und diese flogen ringsumher in der weiten Welt, und wo jemand sie in das Auge bekam, da blieben sie sitzen, und da sahen die Menschen alles verkehrt oder hatten nur Augen für das Verkehrte bei einer Sache; denn jede kleine Spiegelscherbe hatte dieselben Kräfte behalten, welche der ganze Spiegel besaß. Einige Menschen bekamen sogar eine Spiegelscherbe in das Herz,m und dann war es ganz greulich; das Herz wurde einem Klumpen Eis gleich. Einige Spiegelscherben waren so groß, daß sie zu Fensterscheiben verbraucht wurden; aber durch diese Scheiben taugte es nicht, seine Freunde zu betrachten. Andere Stücke kamen in Brillen, und dann ging es schlecht, wenn die Leute diese Brillen aufsetzten, um recht zu sehen und gerecht zu sein; der Böse lachte, daß ihm der Bauch wackelte, und das kitzelte ihn so angenehm. Aber draußen flogen noch kleine Glasscherben in der Luft umher.





"Ich glaube, es ist weg!" sagte er; aber weg war es nicht. Es war gerade so einer von jeden Glassplittern, welche vom Spiegel gesprungen waren, dem Zauberspiegel, wir entsinnen uns seiner wohl, dem häßlichen Glase, welches alles Große und Gute, das sich darin abspiegelte, klein und häßlich machte; aber das Böse und Schlechte trat ordentlich hervor, und jeder Fehler an einer Sache war gleich zu bemerken. Der arme Kay hatte auch ein Splitterchen gerade in das Herz hinein bekommen. Das wird nun bald wie ein Eisklumpen werden; nun tat es nicht mehr weh, aber das Splitterchen war da. 





"Sieh nun in das Glas, Gerda!" sagte er; und jede Schneeflocke wurde viel größer und sah aus wie eine prächtige Blume oder ein zehneckiger Stern; es war schön anzusehen. "Siehst du, wie künstlich!" sagte Kay.





Die kleine Gerda weinte so viel und so lange, denn sagte sie, er sei tot, er sei im Fluß ertrunken, der nahe bei der Schule vorbeifloß; oh, das waren recht lange, finstere Wintertage!

Nun kam der Frühling mit wärmerem Sonnenschein.

"Kay ist tot und fort!" sagte die kleine Gerda.

"Das glaube ich nicht!" antwortete der Sonnenschein.

"Er ist tot und fort!" sagte sie zu den Schwalben.  





"Ich wollte ja den kleinen Kay suchen! Wißt ihr nicht, wo er ist?" fragte sie die Rosen. "Glaubt ihr, daß er tot ist?"

"Tot ist er nicht", antworteten die Rosen. "Wir sind ja in der Erde gewesen; dort sind alle Toten, aber Kay war nicht da." 





Was sagte die Winde? "Über den schmalen Feldweg hinaus hängt eine alte Ritterburg; das dichte Immergrün wächst um die alten roten Mauern empor, Blatt an Blatt um den Altan herum, und da steht ein schönes Mädchen, es beugt sich über das Geländer hinaus und sieht den Weg hinunter. Keine Rose hängt frischer an den Zweigen als dasselbe, keine Apfelblüte, wenn der Wind sie dem Baume entführt schwebt leichter dahin als dieses; wie rauscht das prächtige Seidengewand. "Kommt er noch nicht?" "Ist es Kay, den du meinst?" fragte die kleine Gerda. "Ich spreche nur von meinem Märchen, meinem Traum", erwiderte die Winde.












  

Was sagte die kleine Schneeblume? "Zwischen den Bäumen hängt an Seilen das lange Brett; das ist eine Schaukel. Zwei niedliche kleine Mädchen - die Kleider sind weiß wie der Schnee, lange grüne Seidenbänder flattern von den Hüten - sitzen darauf und schaukeln sich; der Bruder, welcher größer ist als sie, steht in der Schaukel. Er hat den Arm um das Seil geschlungen, um sich zu halten, denn in der einen Hand hat er eine kleine Schale, in der andern eine Tonpfeife; er bläst Seifenblasen. Die Schaukel geht, und die Blasen steigen mit schönen, wechselnden Farben empor; die letzte hängt noch am Pfeifenstiel und biegt sich im Winde. Die Schaukel geht; der kleine schwarze Hund, leicht wie die Blasen, erhebt sich auf den Hinterfüßen und will mit in die Schaukel; sie fliegt; der Hund fällt, bellt und ist böse; er wird geneckt, die Blasen bersten. Ein schaukelndes Brett, ein zerspringendes Schaumbild ist mein Gesang!" "Es ist möglich, daß es hübsch ist, was du da erzählst; aber du sagst es so traurig und erwähnst den kleinen Kay gar nicht."
  






Was sagten die Hyazinthen? "Es waren drei schöne Schwestern, gar durchsichtig und fein; der einen Kleid war rot, das der anderen blau, der dritten ihres ganz weiß; Hand in Hand tanzten sie beim stillen See im hellen Mondenschein. Es waren keine Elfen, es waren Menschenkinder. Dort duftete es herrlich, und die Mädchen verschwanden im Wald. Der Duft wurde stärker; drei Särge, darin lagen die schönen Mädchen, glitten von des Waldes Dickicht über den See dahin; die Johanniswürmchen flogen leuchtend ringsumher wie kleine schwebende Lichter. Schlafen die tanzenden Mädchen, oder sind sie tot? Der Blumenduft sagt, sie sind Leichen; die Abendglocke läutet den Grabgesang!" "Du machst mich ganz betrübt", sagte die kleine Gerda. "Du duftest so stark; ich muß an die toten Mädchen denken! Ach, ist denn der kleine Kay wirklich tot? Die Rosen sind unten in der Erde gewesen, und die sagen nein!" "Kling, klang!" läuten die Hyazinthen-Glocken. "Wir läuten nicht für den kleinen Kay, wir kennen ihn nicht; wir singen nur unser Lied, das einzige, welches wir kennen." 




"Du bist eine kleine helle Sonne!" sagte Gerda. "Sage mir, ob du weißt, wo ich meinen Gespielen finden kann?" Und die Butterblume glänzte so schön und sah wieder auf Gerda.





"Darum kümmere ich mich gar nicht!" sagte Gerda. "Das brauchst du mir nicht zu erzählen"; und dann lief sie nach dem Ende des Gartens. 





Die Tür war verschlossen, aber sie drückte auf die verrostete Klinke, so daß diese abging; die Tür sprang auf, und die kleine Gerda lief barfüßig in die weite Welt hinaus.





Oh, wie waren ihre kleinen Füße wund und müde! Ringsumher sah es kalt und rauh aus; die langen Weidenblätter waren ganz gelb, und der Trau tröpfelte als Wasser herab. Ein Blatt fiel nach dem andern ab; nur der Schlehdorn trug noch Früchte, die waren aber herbe und zogen ihr den Mund zusammen. Oh, wie war es grau und schwer in der weiten Welt!





 Oh, wie Gerdas Herz vor Angst und Sehnsucht pochte! Es war gerade, als ob sie etwas Böses tun wollte; und sie wollte ja doch nur wissen, ob es der kleine Kay sei. Ja, er mußte es sein; sie gedachte so lebendig seiner klugen Augen, seines langen Haares; sie konnte ordentlich sehen, wie er lächelte, wie damals, als sie daheim unter den Rosen saßen. Er würde sicher froh werden, sie zu erblicken; zu hören, welchen langen Weg sie um seinetwillen zurückgelegt; zu wissen, wie betrübt sie alle daheim gewesen, als er nicht wiedergekommen. Oh, das war eine Furcht und eine Freude! 





 "Das sind nur Träume", sagte die Krähe; "die kommen und holen der hohen Herrschaft Gedanken zur Jagd. Das ist recht gut, dann können Sie sie besser im Bette betrachten. Aber ich hoffe, wenn Sie zu Ehren und Würden gelangen, werden Sie ein dankbares Herz zeigen." 




 
"Willst du das Messer bei dir behalten, wenn du schläfst?" frage Gerda und blickte es etwas furchtsam an. 

"Ich schlafe immer mit dem Messer!" sagte das kleine Räubermädchen. "Man weiß nie, was vorfallen kann."





 Das kleine Räubermädchen legte seinen Arm um Gerdas Hals, hielt das Messer in der andren Hand und schlief; aber Gerda konnte ihre Augen nicht schließen, sie wußte nicht, ob sie leben oder sterben würde.





"Dort ist Eis und Schnee, dort ist es herrlich und gut!" sagte das Rentier. Dort springt man frei umher in den großen glänzenden Tälern! Dort hat die Schneekönigin ihr Sommerzelt; aber ihr festes Schloß ist oben, gegen den Nordpol zu, auf der Insel, die Spitzbergen genannt wird!" "O Kay, kleiner Kay!" seufzte Gerda. "Du mußt still liegen!" sagte das Räubermädchen; "Sonst stoße ich dir das Messer in den Leib!" 





"Nun siehst du an den Händen ebenso aus wie meine häßliche Mutter!" 



  

Und Gerda weinte vor Freude. "Ich kann nicht leiden, daß du weinst!" sagte das kleine Räubermädchen.





 "Der kleine Kay ist freilich bei der Schneekönigin und findet dort alles nach seinem Geschmack und Gefallen und glaubt, es sei der beste Ort in der Welt. Aber das kommt daher, daß er einen Glassplitter in das Herz und ein kleines Glaskörnchen in das Auge bekommen hat; die müssen zuerst heraus, sonst wird er nie wieder ein Mensch, und die Schneekönigin wird die Gewalt über ihn behalten!" 







"Aber kannst du nicht der kleinen Gerda etwas eingeben, so daß sie Gewalt über das Ganze erhält?" "Ich kann ihr keine größere Gewalt geben als sie schon hat; siehst du nicht, wie groß die ist? Siehst du nicht, wie Menschen und Tiere ihr dienen müssen, wie sie mit bloßen Füßen so gut in der Welt fortgekommen ist? Sie kann nicht von uns ihre Macht erhalten; sie sitzt in ihrem Herzen und besteht darin, daß sie ein liebes unschuldiges Kind ist."





 Sie lief vorwärts, so schnell sie nur konnte. Da kam ein ganzes Regiment Schneeflocken; aber die fielen nicht vom Himmel herunter, denn der war ganz hell und glänzte von Nordlichtern. Die Schneeflocken liefen gerade auf der Erde dahin, und je näher sie kamen, desto größer wurden sie.
 Aber hier waren sie freilich noch weit größer und fürchterlicher; sie lebten. Sie waren der Schneekönigin Vorposten; sie hatten die sonderbarsten Gestalten. 
  Alle waren glänzend weiß, alle waren lebendige Schneeflocken. 





 Da betete die kleine Gerda ihr Vaterunser. Und die Kälte war so groß, daß sie ihren eigenen Atem sehen konnte; der ging ihr wie Rauch aus dem Munde. Der Atem wurde dichter und dichter und gestaltete sich zu kleinen Engeln, die mehr und mehr wuchsen, wenn sie die Erde berührten;





 Aber er saß ganz still, steif und kalt; da weinte die kleine Gerda heiße Tränen, die fielen auf seine Brust, sie drangen in sein Herz, sie tauten den Eisklumpen auf und verzehrten das kleine Spiegelstück darin.





 Da brach Kay in Tränen aus. Er weinte so, daß das Spiegelsplitterchen aus dem Auge schwamm, und nun erkannte er sie und jubelte: "Gerda! Liebe, kleine Gerda! Wo bist du so lange gewesen? Und wo bin ich gewesen?" Und er blickte rings um sich her. "Wie kalt es hier ist! Wie es hier weit und leer ist!" 







Und er klammerte sich an Gerda an, und sie lachte und weinte vor Freude. Das war so herrlich, daß selbst die Eisstücke vor Freude ringsherum tanzten, und als sie müde waren und sich niederlegten, lagen sie gerade in den Buchstaben, von denen die Schneekönigin gesagt hatte, daß er sie ausfindig machen sollte, dann wäre er sein eigener Herr und sie wolle ihm die ganze Welt und ein Paar neue Schlittschuhe geben.



Und Gerda küßte seine Wangen, und sie wurden blühend; sie küßte seine Augen, und sie leuchteten gleich den ihrigen; sie küßte seine Hände und Füße, und er war gesund und munter. Die Schneekönigin mochte nun nach Hause kommen; sein Freibrief stand da mit glänzenden Eisstücken geschrieben. 










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